Kapital noch da, Vertrauen weg – wie Zentralbanken mit Liquiditätsfazilitäten Schaden abwenden können

In unserem vierten Beitrag zur Bankenregulierungsdebatte in der Schweiz erläutern wir, weshalb Banken anfällig für Liquiditätskrisen sind, welche Rolle das Kapital dabei spielt und wie Zentralbanken in einer Krise ihre Funktion als Lender of Last Resort wahrnehmen. Besicherte Zentralbankfazilitäten bilden in diesem Kontext ein zentrales Instrument – mit hoher Wirksamkeit und geringen Risiken.
Warum Banken anfällig für Liquiditätskrisen sind
Banken unterscheiden sich von anderen Unternehmen durch die Struktur ihrer Bilanz: Sie finanzieren langfristige, oft illiquide Aktiven – insbesondere Kredite – mit kurzfristig fälligen Kundeneinlagen. Diese sogenannte Fristentransformation erfüllt eine volkswirtschaftlich essenzielle Funktion, macht das Geschäftsmodell jedoch strukturell anfällig für Vertrauenskrisen.
Ein erheblicher Teil der Kundeneinlagen ist rechtlich kurzfristig fällig. Einleger können ihre Guthaben jederzeit oder mit kurzer Kündigungsfrist abziehen, während die von den Banken finanzierten Aktiven – z.B. Hypotheken oder Unternehmenskredite – langfristig gebunden sind und sich deshalb kaum veräussern lassen. Da die Kunden ihre Einlagen erfahrungsgemäss nicht gleichzeitig abheben, kann die Bank einen grossen Teil dieser Gelder langfristig ausleihen. Dieses Prinzip funktioniert jedoch nur, solange das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Bank erhalten bleibt. Um das Risiko von Liquiditätsengpässen zu begrenzen, unterliegen Banken daher regulatorischen Vorschriften zur Mindestliquidität.
Was einen Bank Run auslösen kann
Eine Liquiditätskrise kann sowohl Folge als auch Ursache einer Kapitalkrise sein. Häufig beginnt der Prozess mit Verlusten, die das Eigenkapital einer Bank schwächen und Zweifel an ihrer Stabilität aufkommen lassen. Je stärker die Verluste ausfallen, desto eher wächst bei Einlegern und Gegenparteien die Sorge, dass die Bank ihre Verpflichtungen nicht mehr vollumfänglich erfüllen kann. In der Folge kann sich die Wahrnehmung der Marktteilnehmer abrupt ändern.
Doch nicht immer beruhen Vertrauenskrisen auf tatsächlichen Verlusten oder Ereignissen. Schon der Verdacht, dass eine Bank beispielsweise Verluste verschleiert, Fehlentscheide trifft oder ihr Geschäftsmodell nicht mehr im Griff hat, kann genügen, um einen Abzug von Einlagen auszulösen – selbst wenn die Bank objektiv noch solvent ist. Es ist dann die zwangsweise Liquidation langfristig gebundener Aktiven – die unter Stress oft nur mit erheblichen Preisabschlägen möglich ist –, welche zu realen Verlusten führt. Daher reagieren Marktteilnehmer ebenso sensitiv auf einen Rückgang der ausgewiesenen Liquiditätsquoten wie auf ungenügende Kapitalquoten.
Daraus folgt: Eine solide Eigenkapitalausstattung ist zwar Voraussetzung für Stabilität, sie garantiert jedoch kein Vertrauen. Auch eine überdurchschnittliche Kapitalausstattung vermag wenig auszurichten, wenn Kunden und Gegenparteien einer Bank das Vertrauen entziehen.
Die Zentralbank als Lender of Last Resort
In einer schweren Vertrauenskrise, die das gesamte Finanzsystem erfasst, kann der Vertrauensverlust selbst gesunde Institute treffen. Umso wichtiger ist es, dass solvente Banken im Notfall rasch Zugang zu Liquidität der Zentralbank erhalten, die in solchen Situationen ihre vorgesehene Rolle als Lender of Last Resort wahrnimmt. Dies ist auch deshalb wichtig, weil Banken ihre regulatorisch vorgeschriebenen Mindestreserven – die eigentlich zur Bewältigung einer Liquiditätskrise vorgesehen sind – in der Praxis kaum antasten können: Bereits ein Absinken der ausgewiesenen Liquiditätsquote in die Nähe der regulatorischen Mindestvorgabe kann im Markt erhebliche Nervosität auslösen und das betroffene Institut zusätzlich unter Druck setzen.
Ein wesentlicher Aspekt moderner Liquiditätsfazilitäten besteht darin, dass sie in vielen Ländern – nicht jedoch der Schweiz – als stehende Fazilitäten ausgestaltet sind. Sie stehen den Banken gegen ausreichende Besicherung jederzeit und ohne mengenmässige Begrenzung zur Verfügung. Da sich die Zinssätze nur unwesentlich von den marktüblichen Niveaus unterscheiden, wird ihre Nutzung nicht als Krisenmassnahme wahrgenommen. Damit entfällt das frühere Stigma, nach dem die Inanspruchnahme von Zentralbankfazilitäten als Zeichen von Schwäche galt. Die Zentralbanken tragen mit diesem Instrument dazu bei, dass sich bei temporären Liquiditätsengpässen keine Panik im Bankensystem ausbreitet.
Klar von diesen Liquiditätsfazilitäten abzugrenzen ist der Public Liquidity Backstop (PLB) – ein Instrument, das erst bei einer Sanierung oder Abwicklung zum Einsatz kommt.
Die Entwicklung des SNB-Instrumentariums
In der Schweiz wurde die Unterstützung von Banken in einer Krise durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt und auf absolute Notfälle begrenzt. Die Emergency Liquidity Assistance (ELA) – eine besicherte Liquiditätsnotfallfazilität der SNB – war ursprünglich stark eingeschränkt, sowohl hinsichtlich des Kreises der Berechtigten (nur systemrelevante Banken) als auch bei den zugelassenen Sicherheiten (ausschliesslich erstklassige Aktiven). Erst in den letzten Jahren wurde das Instrument schrittweise ausgebaut: Es steht heute allen Banken offen. Nebst marktgängigen Wertpapieren werden auch erstklassige Hypotheken als Sicherheiten akzeptiert. Die Reformen gehen in die richtige Richtung; die SNB verfolgt im internationalen Vergleich jedoch weiterhin eine zurückhaltende Praxis.
Für schwergewichtig im inländischen Hypothekargeschäft tätige Banken stellt die von der SNB initiierte Fazilität Liquidität gegen hypothekarische Sicherheiten (LGHS) eine wichtige Ergänzung dar. Sie ermöglicht es diesen Instituten, im Krisenfall rasch Liquidität gegen die Abtretung hochwertiger Hypotheken zu beziehen. In der Praxis bestehen jedoch noch erhebliche operationelle Hürden: Die Nutzung ist derzeit auf Registerschuldbriefe beschränkt, eine Lösung für traditionelle Papierschuldbriefe – die in der Schweiz rund zwei Drittel der Hypothekarsicherheiten ausmachen – befindet sich erst in Ausarbeitung. Zudem erfordert die Abtretung von Hypothekarkrediten an die SNB aktuell individuelle Vertragsanpassungen mit den betroffenen Kunden – ein aufwändiger und zeitintensiver Prozess – eine gesetzliche Lösung könnte hier Abhilfe schaffen. Zusätzlich beschränkt wird das potenziell verfügbare Volumen durch den Umstand, dass bei vielen Banken ein erheblicher Teil der Hypotheken bereits als Sicherheiten für die Refinanzierung über Pfandbriefdarlehen verpfändet oder für die Einlagensicherung reserviert ist, und die SNB auf die angerechneten Hypothekenwerte hohe Sicherheitsabschläge anwendet. Damit LGHS sein Potenzial entfalten kann, müssen die Interessen von SNB, Pfandbriefinstituten und Einlagensicherung künftig besser aufeinander abgestimmt werden.
Welche Risiken entstehen der SNB aus den Liquiditätsfazilitäten
Die aus den Liquiditätsfazilitäten der SNB resultierenden Verlustrisiken sind insgesamt gering. Die SNB darf nur an solvente Banken und gegen ausreichende Besicherung Liquiditätshilfedarlehen gewähren. Ist eine Bank dennoch nicht mehr in der Lage, ein von der SNB gewährtes Darlehen vertragsgemäss zurückzuzahlen, kann die SNB die hinterlegten Sicherheiten am Markt veräussern und sich aus dem Verkaufserlös schadlos halten. Weil sie materielle Bewertungsabschläge („Haircuts“) anwendet – zusätzlich zu der bereits konservativen Bewertung der Banken – und die Besicherung regelmässig an die Marktpreise anpasst, ist die SNB weitgehend gegen Wertschwankungen der Sicherheiten geschützt.
Ein Verlust kann für die SNB nur dann entstehen, wenn eine Bank nach Bezug der Liquiditätshilfe insolvent wird und die hinterlegten Sicherheiten unmittelbar danach deutlich an Wert verlieren – und zwar in einem Ausmass, das auch die angesetzten Haircuts übersteigt. Die verbleibende ungedeckte Restforderung der SNB wäre im Konkursfall jedoch gegenüber den Einlegern und dem Bail-in-Kapital privilegiert. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die SNB in den allermeisten Fällen den überwiegenden – wenn nicht sogar den vollständigen – Betrag der gewährten Liquiditätshilfe zurückerhält.
Der noch fehlende PLB in der Schweiz
Es kann jedoch Fälle geben, in denen die verfügbaren Sicherheiten einer Bank erschöpft sind und selbst der Zugang zu den Liquiditätsfazilitäten der SNB nicht mehr möglich ist. In einer solchen Situation muss die Bank saniert oder abgewickelt werden. Auch dabei entsteht ein zusätzlicher Liquiditätsbedarf. Genau dafür ist bei systemrelevanten Banken der PLB vorgesehen. Da die SNB – wie jede andere Zentralbank – keine unbesicherten Darlehen gewähren darf, muss eine solche Liquiditätshilfe durch eine staatliche Ausfallgarantie abgesichert werden. Da die Forderung der SNB zusätzlich durch ein Konkursprivileg abgedeckt ist, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Beanspruchung dieser Garantie.
In der Schweiz besteht bislang keine gesetzliche Grundlage für den PLB. Die Eckwerte für dessen Einführung wurden zwar bereits Anfang 2022 festgelegt, die weitere Ausarbeitung dann aber zugunsten anderer Vorhaben zurückgestellt. Im März 2023 kam der PLB im Zusammenhang mit der Stabilisierung der Credit Suisse erstmals zur Anwendung – gestützt auf Notrecht und damit ausserhalb des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens. Die parlamentarische Beratung zur definitiven Verankerung des Instruments ist derzeit sistiert, da der PLB im Rahmen der laufenden Überprüfung des regulatorischen TBTF-Regimes umfassend neu beurteilt werden soll.
Der PLB gemäss Botschaft des Bundesrates soll subsidiär zu den bestehenden Liquiditätsfazilitäten der SNB eingesetzt werden und ausschliesslich systemrelevanten Banken offenstehen. Er greift erst, wenn alle anderen Refinanzierungsquellen der Bank ausgeschöpft sind. Die Gewährung des PLB setzt zwingend die Einleitung einer Sanierung voraus. Dabei werden das Aktienkapital – und gegebenenfalls noch bestehende AT1-Anleihen – vollständig abgeschrieben. Bail-in-Anleihen werden im Nominalbetrag in neues Aktienkapital gewandelt, können aber wertmässig substanzielle Verluste erleiden. Ziel des PLB ist es, durch ein von der SNB gewährtes Darlehen die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen der Bank sicherzustellen und einen ungeordneten Zusammenbruch mit gravierenden negativen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und das Finanzsystem zu vermeiden.
Fazit
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass selbst gut kapitalisierte Banken in eine Liquiditätskrise geraten können, wenn das Vertrauen schwindet. Einlagenabzüge können heute rasch und in grossem Umfang erfolgen – beschleunigt durch die Digitalisierung und die Dynamik sozialer Medien. Weil eine Bank in der Praxis ihre Liquiditätsquote stabil halten muss, um Vertrauen zu bewahren, kann sie ihre Liquiditätsreserven nur beschränkt nutzen. Es ist daher essenziell, dass Banken in ausserordentlichen Situationen rasch und unbürokratisch Zugang zu den Liquiditätsfazilitäten der Zentralbank erhalten.
In der Schweiz wurden mit der Ausweitung der ELA auf alle Banken und der Initiierung des LGHS-Programms wichtige Fortschritte erzielt. Wie wirkungsvoll LGHS letztlich sein wird, hängt jedoch entscheidend davon ab, ob es gelingt, die bestehenden operativen Hürden zu beseitigen und die Interessen von SNB, Pfandbriefinstituten und Einlagensicherung besser aufeinander abzustimmen. Selbst bei optimaler Umsetzung bleibt die SNB im internationalen Vergleich zurück: In anderen bedeutenden Finanzplätzen können sich Banken im Bedarfsfall jederzeit den Grossteil ihrer Bilanz – einschliesslich weniger liquider Aktiven – mit Zentralbankgeld refinanzieren.
Ebenso wichtig ist der PLB – das noch fehlende Element im Schweizer TBTF-Framework. Er kommt nur subsidiär zum Einsatz, setzt zwingend eine Sanierung voraus und steht ausschliesslich systemrelevanten Banken offen.