Axpo – Ein gewaltiger Sturm im Wasserglas
Heute Morgen hat die Axpo Holding AG beim Bund ein Gesuch um temporäre Liquiditätshilfe eingereicht. Mittels Notverordnung hat der Bundesrat den Rettungsschirm für die Schweizer Stromwirtschaft aktiviert und der Axpo eine Kreditfazilität im Betrag von 4 Milliarden gewährt. Damit soll verhindert werden, dass die Axpo in Liquiditätsengpässe gerät und durch Spillover-Effekte die Energieversorgung der Schweiz gefährdet wird.
In diesem Blog-Artikel erklären wir, weshalb diese Liquiditätshilfe notwendig und sinnvoll ist, und was die Unterschiede zu früheren Krisen im Bankensektor sind.
Axpo erzielte in den vergangenen Jahren einen jährlichen Umsatz von knapp 5 Mia. CHF. Im letzten Geschäftsjahr 2020/2021 ist der Umsatz infolge der höheren Strompreise auf rund 6 Mia. CHF angestiegen. Da Axpo stark von den jeweiligen Strompreisen abhängig ist, tätigt sie umfangreiche Absicherungsgeschäfte mittels Derivate. Dies erleichtert dem Unternehmen und seinen Kunden die langfristige Planung mit stabileren Preisen. Insbesondere die geplante Schweizer Stromproduktion wird über die nächsten 3 Jahre grösstenteils preislich abgesichert. So waren per 31. März 2022 bereits 95% bzw. 92% der geplanten Produktionsmenge für die Geschäftsjahre 2022/23 und 2023/24 gehedged. Die hohen Strompreise wirken sich somit erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung positiv auf das Geschäftsresultat der Axpo aus.
Axpo tätigt ihre Absicherungsgeschäfte gemäss eigenen Angaben sowohl im ausserbörslichen OTC-Markt als auch an Energiebörsen wie z.B. der European Energie Exchange (EEX). Per 31. März 2022 rapportierte Axpo offene Absicherungsgeschäfte über 67 Terrawattstunden (TWh). Zu noch im Januar 2021 üblichen Preisen von ca. 50 EUR pro Megawattstunde (MWh) dürfte dies einem Wert von gut 3 Mia. CHF entsprochen haben. Zu Marktpreisen per 31. März 2022 gerechnet, könnte der Wert jedoch bereits bei rund 12 Mia. CHF gelegen haben. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Axpo im ersten Halbjahr, d.h. in der Periode vom 1. Oktober 2021 – 31. März 2022, einen Mittelabfluss von 2.2 Mia. CHF zur Erfüllung von Margenerfordernissen zu verzeichnen hatte. Solche werden bei börsengehandelten Produkten wie z.B. Futures täglich in Cash fällig, wenn sich der Preis zuungunsten eines Marktteilnehmers entwickelt hat. Im Gegenzug werden Wertveränderung der Gegenpartei des Absicherungsgeschäft in Cash gutgeschrieben.
Die Problematik bei der Axpo liegt darin, dass sich die – für das Unternehmen eigentlich positive – Verteuerung des Stroms kurzfristig negativ auf die Liquidität auswirkt. Seit Ende August bezahlte Termin-Preise von über 500 EUR pro MWh könnten den Wert der offenen Absicherungsgeschäfte der Axpo auf über 30 Mia. CHF erhöht haben, was erneute Margennachforderungen mit sich bringt. Orbit36 schätzt diese in der Grössenordnung von 2-5 Mia. CHF. Dies würde auch erklären, weshalb Axpo so kurzfristig eine Liquiditätshilfe des Bundes über 4 Mia. beantragen musste.
Es ist wichtig zu verstehen, dass den enormen Markt-to-Market Verlusten der Axpo aus den Derivatgeschäften entsprechende Gewinne aus den zukünftigen Stromverkäufen gegenüberstehen. Auch aus einer buchhalterischen Sicht besteht kein Grund zur Besorgnis, da die Absicherungsgeschäfte unter IFRS in Kombination mit dem Grundgeschäft betrachtet werden. Es besteht jedoch eine temporäre Liquiditätslücke, die dem Unternehmen ohne die Hilfe des Bundes hätte zum Verhängnis werden können.
Es gibt auch gewichtige Unterschiede zur Situation bei der UBS, als diese 2008 durch den Bund und die Schweizerische Nationalbank gerettet werden musste. Einerseits muss ein Energieunternehmen im Gegensatz zu einer Bank keine regulatorische Mindestkapitalerfordernis erfüllen. Anderseits erscheint das Risiko für den Steuerzahler im Falle der Axpo überschaubar. Solange die Axpo in der Lage ist, die über die Terminbörsen abgesicherten Strommengen über die nächsten drei Jahre zu produzieren und zu verkaufen, dürften die Liquidität dank der hohen Preise im Spotmarkt wieder an das Unternehmen zurückfliesen. Gleiches passiert auch, falls die Terminpreise für Strom wieder auf normalere Niveaus zurückfallen, weil es dann zu Margenzahlungen zu Gunsten der Axpo kommt. Ein Risiko besteht jedoch, falls Axpo unter einem Krisenszenario, wie z.B. des Zusammenbruchs der europäischen Energieversorgung, ihr geplantes Produktionsvolumen nicht erzeugen und absetzen kann.
Das Management der Axpo hat aus unserer Sicht den Liquiditätsbedarf aus der langfristig sinnvollen Hedging-Strategie unterschätzt. Allerdings sind die momentanen Verwerfungen im europäischen Strommarkt derart extrem, dass sie realistischerweise von niemandem vorhergesagt werden konnten. Es zeigt sich ausserdem, dass der von Wertpapierbörsen übernommenen Mechanismus mit täglichem Margenausgleich in Cash an seine Grenzen kommt. Axpo wird für ihre grundsätzlich sinnvolle, auf den Ausgleich von kurzfristigen Wertschwankungen ausgelegte Absicherungsstrategie zu Gunsten ihrer Abnehmer bestraft, während Stromversorger und andere Energiebezüger von Hedging-Gewinnen und entsprechenden Liquiditätszuflüssen temporär profitieren.
Vor diesem Hintergrund ist es für Orbit36 schwer nachvollziehbar, weshalb der Bund der Axpo die Liquiditätshilfe in der Form eines hochverzinslichen, nachrangigen Kredites gewährt. Dies impliziert, dass die Axpo durch eigenes Unvermögen in eine schwierige Lage gekommen ist. Langfristig sinnvoller wäre, für solche Fälle eine Notfallliquiditätsfazilität zu errichten, ähnlich wie für die Banken bei der Schweizerischen Nationalbank. Dabei würden die Energieversorger gegen die Verpfändung von illiquiden Aktiven (z.B. Produktionsanlagen) Kredite zu Marktbedingungen von einem Lender of Last Ressort erhalten. Dies erscheint auch deshalb sinnvoll, weil für die Schweiz systemrelevante Energieunternehmen eine Grösse aufweisen, bei denen eine Kreditvergabe gegen illiquide Aktiven durch eine Bank schwierig bis unmöglich ist. Eine solche Kreditlinie über 4 Mia. CHF an ein einzelnes Unternehmen können selbst eine UBS oder Credit Suisse aufgrund von regulatorischen Einschränkungen nicht allein stemmen, weil das dazu notwendige Eigenkapital nicht vorhanden ist.